02/07/2024 0 Kommentare
Judenfeindlicher Wasserspeier an der St. Stephani-Kirche: Kirchengemeinde in Calbe präsentiert interaktiven Lernort und plädiert für Einschränkung der Sichtbarkeit
Judenfeindlicher Wasserspeier an der St. Stephani-Kirche: Kirchengemeinde in Calbe präsentiert interaktiven Lernort und plädiert für Einschränkung der Sichtbarkeit
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Judenfeindlicher Wasserspeier an der St. Stephani-Kirche: Kirchengemeinde in Calbe präsentiert interaktiven Lernort und plädiert für Einschränkung der Sichtbarkeit
14 Wasserspeierfiguren befinden sich auf den Strebepfeilern der St. Stephani-Kirche in Calbe. Eine der Figuren zeigt auf obszöne Weise einen Juden mit einem Schwein. „Die Judenfeindschaft, die in diesem Bildwerk zum Ausdruck kommt, ist inakzeptabel und entspricht nicht dem, was die Kirchengemeinde in Calbe heute verkünden möchte“, erklärt dazu die Vorsitzende des Gemeindekirchenrats, Liane Hilfert. Gemeinsam mit der Evangelischen Akademie Sachsen-Anhalt hat die Gemeinde deshalb in den letzten Monaten eine Reihe von Maßnahmen erarbeitet, die sowohl vor Ort als auch digital eine kritische Einordnung der Figur gewährleisten.
Die Maßnahmen umfassen erstens einen Faltprospekt, der in hoher Stückzahl in der Kirche ausliegt und BesucherInnen über die judenfeindliche Figur informiert, zweitens eine Broschüre, die den aktuellen Recherchestand zur Baugeschichte und zur Bildgebung zusammenfasst und drittens eine interaktive Online-Lernplattform, die das Motiv im Kontext christlicher Ikonografie und christlicher Judenfeindschaft erörtert. Auf der Webseite „figurenkranz-calbe.de“ finden BesucherInnen ab sofort ein interaktives Panorama der 14 Wasserspeier.
Über Audio-, Bild- und Textbeiträge erhalten sie einen Überblick über den aktuellen Kenntnis- und Aufarbeitungsstand sowie Informationen zu den einzelnen Bildmotiven an der St. Stephani-Kirche. „Die Webseite stellt darüber hinaus Bildungsmaterialen zur Verfügung, die über die Geschichte und Aktualität christlicher Judenfeindschaft aufklären“, ergänzt Projektmitarbeiter Vincent Kleinbub.
Die Kirchengemeinde in Calbe möchte den Weg der kritischen Auseinandersetzung in Zukunft weiter beschreiten. Dazu gehört neben der angemessenen Kontextualisierung auch der Umgang mit der antisemitischen Plastik selbst. Die Skulptur stammt aller Wahrscheinlichkeit nicht aus dem Mittelalter, sondern aus dem 19. oder 20. Jahrhundert. Auch bildlich nimmt die Karikatur Stereotype des modernen Antisemitismus in sich auf. Die Gemeinde hält das uneingeschränkte Zeigen der Plastik vor diesem Hintergrund für nicht zumutbar. Auf seiner Sitzung vom 1. Dezember 2022 hat sich der Gemeindekirchenrat deshalb dafür ausgesprochen, die Sichtbarkeit der Plastik dauerhaft einschränken zu wollen. In welcher Form sich das realisieren lässt, besprechen VertreterInnen der Gemeinde momentan intern mit den Behörden. Die denkmalschutzrechtliche Genehmigung für die derzeitige Verhüllung der Schmähplastik läuft im Februar 2024 aus. Bis dahin gilt es ein tragfähiges Konzept zu erarbeiten.
„Als Christinnen und Christen sehen wir uns in der Pflicht, der durch die Plastik nach außen getragenen Beleidigung gegenüber Jüdinnen und Juden entgegenzutreten“, stellt GKR-Vorsitzende Liane Hilfert klar. „Unsere Verpflichtung dazu haben wir in einer Erklärung festgehalten.“ Diese kann ab sofort online eingesehen werden: https://figurenkranz-calbe.de/wp-content/uploads/2023/08/Erklaerung-zur-judenfeindlichen-Schmaehplastik-in-Calbe.pdf. Über eine Informationsstele soll der Text bald auch vor Ort, unterhalb der verhüllten Schmähplastik, zu lesen sein.
Calbe (Saale), den 12.09.2023
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