Andacht 6. Sonntag nach Trinitatis

Andacht 6. Sonntag nach Trinitatis

Andacht 6. Sonntag nach Trinitatis

# Andacht

Andacht 6. Sonntag nach Trinitatis

Erinnerung an die Gegenwart

Er ist ein Sonntagskind. Geboren neunzehn Minuten nach Mitternacht, notiert die Hebamme. Ein zartes Kind liegt in den Armen der erschöpften und überglücklichen Mutter. Ja, es ist wirklich zart, denn die Geburt kam sechs Wochen zu früh. Und was die Eltern schon vor der Geburt wussten: Ihr neugeborener Sohn kommt krank zur Welt. Er muss noch am selben Tag operiert werden, um überleben zu können. Der Krankenwagen zur Verlegung in die Spezialklinik steht schon bereit, die Operation ist für den Vormittag angesetzt. Unter diesen Umständen fährt das Glücksgefühl der Eltern Achterbahn, geht zwischen Sorge, Angst und Hoffnung ständig und heftig rauf und runter. Damit müssen sie in den nächsten Wochen und Monaten leben, denn die Situation bleibt unsicher und lebensbedrohlich. Sie weinen viel. Sie beten mehr und eindringlicher, als sie es sonst getan hätten. Die Not eben. Es dauert ein Vierteljahr, dann kann ihr Sohn das Krankenhaus endlich verlassen. Für den großen Bruder und die ganze Familie beginnt eine besonders glückliche Zeit, auch wenn die Sorgen gegenwärtig bleiben. Einige Wochen später stehen alle am Taufstein. Der Taufspruch für das immer noch zarte Kind lautet: „Befiehl Gott, dem Herrn, deine Wege und hoffe auf ihn, er wird es wohl machen.“ Einer der Paten fragt die Eltern später, ob sie denn gar nicht auf die Idee gekommen sind, ihr Kind in der Klinik zu taufen. Es bestand doch immerhin Lebensgefahr. Ja, das stimmt. Aber tatsächlich haben sie den Gedanken an eine Nottaufe nie gehabt. Warum eigentlich nicht? Sie können es sich nur so erklären, dass die Hoffnung (besser: das Gottvertrauen?!) doch immer stärker war, als die Angst. Das überrascht und erstaunt sie im Nachhinein selbst. Und warum dann jetzt die Taufe? Die Antwort gibt am besten der Taufspruch.

Liebe Leserinnen und Leser, dieses Erlebnis liegt fast 25 Jahre zurück. Ich werde aber im Moment ganz besonders daran erinnert. Denn heute Morgen darf ich ein Kind taufen, dessen Eltern in den vergangenen Monaten in ähnlicher Sorge lebten. Sie haben einen starken biblischen Taufspruch ausgewählt, wie ich finde: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit!“ Nein, Sorgen rund um eine Erkrankung lassen sich nicht leugnen und wegwischen. Die Frage ist, ob sie zwangsläufig das Leben beherrschen müssen. Es bewegt mich sehr, wenn ich Menschen begegne, die in ihren Sorgen Gott vertrauen und in dem Geist leben, von dem der Taufspruch spricht. Das wünsche ich auch unserem heutigen Taufkind von ganzem Herzen.

Matthias Porzelle
Superintendent des Ev. Kirchenkreises Egeln

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